Als die Erde und das Tivoli bebten

Wenn Tirols Fußball-Redakteure die Landkarte zur Hand nehmen müssen

Wir schreiben das Jahr 1976, das Viertelfinale des ÖFB-Cups stand an, von der gefürchteten PISA-Studie noch weit und breit nichts zu bemerken. Und so titelte die Neue Tiroler Zeitung „Zwei Tiroler Clubs kämpfen um den Weiterverbleib im Cup“ . Der eine, ISK/SVI, unterlag VOEST Linz durch eine strittige Elfmeterentscheidung 0:1, Wacker Innsbruck, dominierender Verein der frühen 70er-Jahre, übersprang die Hürde Admira/Wacker erst im Elfmeterschießen (4:3) – und traf nach einem weiteren Sieg gegen Sturm Graz (2:0) im Semifinale auf Rapid...

Grün-Weiße Invasion im Tivoli

Man mag sich über heutige Zuschauerzahlen beklagen, vielleicht auch zu Recht, doch auch in der Vergangenheit war nicht immer alles so rosig, wie es durch die beschönigende Brille der Geschichte scheinen mag. Wacker Innsbruck, viermaliger Meister, dreimaliger Cupsieger, aktueller Zweiter der Tabelle, stand im Semifinale des Cups – und es verirrten sich nur 3500 Zuseher ins Tivoli. Das allein mag schon überraschen, doch dass die Wackerianer auf den Rängen in ihrem eigenen Stadion dermaßen übertönt wurden, dass es sogar die Medien erwähnenswert fanden, das war man nicht gewohnt. Weit mehr als 1000 Grün-Weiße verwandelten dieses Spiel beinahe in ein Heimmatch.

Tiroler Exportschlager

Wacker Innsbruck vs. SV Rapid Lienz

Vor diesem laut Prof. Branko Elsner bisher wichtigsten Spiel der Saison plagten die Innsbrucker Personalprobleme, und das nicht zu knapp. Die Schwarz-Grünen tanzten auf drei Hochzeiten, und das sollte sich bemerkbar machen, denn neben der Meisterschaft und dem Pokal war man auch noch im Mitropacup engagiert, stand dort sogar im Finale. Stering, Rinker, Oberacher, Horvath und Gombasch waren nicht einsatzfähig. Werner Schwarz musste drei Tage zuvor gegen die Klagenfurter Austria wegen eines Hitzekollaps ausscheiden, Werner Krieß hatte nach seinem Knöchelbruch noch kein Spiel in den Beinen. Und dann kam mit Rapid auch noch eine Mannschaft, die von den großen Jahren der Innsbrucker profitierte. Ihrem Trainer Dolfi Blutsch war das Tivoli aus seinen Jahren unterm Hafelekar ebenso gut bekannt wie auch den Spielern Sommer, Trenkwalder, Kastner und Peer, die allesamt als Grün-Weiße an ihre ehemalige Wirkungsstätte zurückkehrten.

Ein Bruderduell mit Wacker Innsbruck

Als sich nun an diesem Cup-Dienstag im Mai das Stadion langsam füllte, fragten die Journalisten begierig den Tiroler Landesrat Fridolin Zanon, für wen den heute sein Herz schlage. „Ach - zwei Seelen wohnen in meiner Brust!“ Wie konnte er als Tiroler nur...?! Natürlich konnte er. Und musste er, als Osttiroler. Nicht heimlich, still und leise, sondern laut und unter viel Beachtung in ganz Österreich hatte sich der Nationalliga-Club aus der Dolomitenstadt unter die besten Vier geschossen. Die Mannschaft des SV Rapid Lienz bestand aus Amateuren, ohne Handgeld und Fixum, nur durch Prämien belohnt – was die Spieler nicht davon abhielt, sich viermal pro Woche zum Training zu treffen und in der zweithöchsten österreichischen Fußballliga mitzumischen. Doch es war eine Saison voller Zittern und Beben. Das Zittern war im Ligaalltag angesagt, man spielte gegen den Abstieg und konnte sich von den letzten Plätzen nicht lösen. Ein Beben löste Lienz im Pokal aus, in dem nach Siegen über den WSV Liezen und den Wolfsberger AC (2:1) in der dritten Runde der Linzer ASK mit 1:0 geschlagen wurde, um dann auch noch den Wiener Sportclub mit 3:1 vom Platz zu fegen. Das Dolomitenstadion bebte – und ganz Lienz tat es ihm gleich, als das große Erdbeben von Friaul nur wenige Tage vor dem Semifinalspiel auch in Osttirol mehr als nur zu spüren war.

Das Spiel der kuriosen Tore

Das Spiel begann so, wie es zu erwarten war, allerdings nicht, wie die Papierform es geboten hätte. Der müde und ersatzgeschwächte FC Wacker beschränkte sich auf das Allernotwendigste, tat kaum etwas für’s Spiel und ließ die Lienzer kommen. Und diese kamen, mit drei Sturmspitzen äußerst offensiv angelegt, wenn auch nicht allzu gefährlich. Rapid spielte ums Überleben, Innsbruck tat, was es tun musste, um nicht unterzugehen, und das wäre beinahe zu wenig gewesen, doch die Schüsse von Kastner und Unterweger fanden nicht den Weg ins Tor. Dies tat dann, völlig entgegen dem Spielverlauf, ein Spitz von Schwarz 10 Sekunden vor Ende der ersten Halbzeit. Der Lienzer Torhüter hatte einen schwachen Stanglpass abgefangen und legte sich den Ball für den Ausschuss vor die Füße. Zu früh, zu weit, es war das 1:0 für die Schwarz-Grünen. In Halbzeit zwei ließen diese dann für kurze Zeit den Klasseunterschied aufblitzen, und dies reichte, um durch Zanon das zweite Mal zu scoren, wenn auch aus abseitsverdächtiger Position. Wer nun aber geglaubt hatte, das Spiel wäre entschieden, der wurde durch die Kampfkraft des Nationalligisten eines Besseren belehrt. Als dann auch noch ein eigentlich harmloser Schuss eines Rapidlers durch Pezzey ins Wackersche Gehäuse gelenkt wurde, bebte auch das Tivoli durch die mitgereisten Osttiroler Schlachtenbummler. Ein Tor hätte den Lienzern auf Grund der damals geltenden Auswärtstorregel gereicht, um das Finale zu erreichen. Ein Tor, dem die Grün-Weißen auch um vieles näher waren als die Innsbrucker. Ein Tor, das Trenkwalder und Kastner auf dem Fuß hatten. Ein Tor, das Koncilia jedoch zu verhindern wusste, das nicht gelingen wollte. Und so erreichte der FC Wacker Innsbruck mühevoll und glücklich, doch letztendlich nicht ganz unverdient das in zwei Spielen ausgetragene Pokal-Finale, in dem sie ein Déjà-vu erwartete.

Eine Saison ohne Glück für Tirol

Abermals versuchten Spieler in Grün-Weiß, einen Erfolg der Tiroler zu verhindern, doch dieses Mal waren es die Hütteldorfer, die mit ihrem Jungstar Johannes Krankl den Titel für sich reklamierten. Beim Spiel am Tivoli zeigte Wacker seine ganze Spielstärke, doch die völlige Überlegenheit konnte nicht ausreichend in Tore umgemünzt werden. Nach 2:0-Führung musste man in Überzahl kurz vor Schluss noch den Anschlusstreffer hinnehmen. Damit nicht genug, beim Rückspiel in Wien, bei dem ein 0:0 den Cup-Sieg bedeutet hätte, kassierte man abermals in der Rapid-Viertelstunde den diesmal alles entscheidenden Gegentreffer. 80 Sekunden hatten Innsbruck gefehlt, 80 Sekunden, die eine Saison ohne nationalen Titel für die erfolgsverwöhnten Schwarz-Grünen bedeuteten, denn in der Meisterschaft musste man der Wiener Austria/WAC den Vortritt lassen, nur im Mitropacup, in dem man nach dem Aus im Europacup der Meister gegen Borussia Mönchengladbach (1:1, 1:6) angetreten ist, konnte man sich gegen Velez Mostar mit einem Gesamtscore von 6:2 durchsetzen. Und auch der SV Rapid Lienz, dessen Libero Gerhard Forstinger kurz nach dem Semifinale einen Vertrag bei Wacker unterschrieb, sah sich seiner Hoffnungen beraubt. Man konnte den Ligaerhalt nicht erreichen und stieg auf Grund des schlechteren Torverhältnisses ab – lediglich drei Treffer hatten gefehlt.

ÖFB-Cup: FC Sparkasse Swarovski Wacker Innsbruck – SV Rapid Mussnig Lienz 2:1 (1:0)

Tivoli (Innsbruck), 3500; SR Jungwirth;

Tore: Schwarz (45.), Zanon (52.); Pezzey (ET 76.); Gelbe Karten: Unterguggenberger (14.), Kastner (30.);

Swarovski Sparkasse Wacker Innsbruck: Koncilia I, Krieß, Pezzey, Constantini, Eigenstiller, Zanon, Koncilia II, Schwarz, Metzler, Welzl, Lercher.

SV Rapid Mussnig Lienz: Rampitsch, Wendlinger, Rindler, Forstinger, Kalcher, Sommer, Unterguggenberger, Unterweger, Trenkwalder, Kastner, Schwaiger.

(c) stefan weis 2008-2009 - Für Papa. Danke, dass du mich ins Dolomitenstadion mitgenommen hast.