Csárdás im Dolomitenstadion
Puskás’s Erben
Am 8. Mai war es soweit. Sie setzten ihren Fuß auf den Rasen des Dolomitenstadions, die Erben Ferenc Puskás’s. Vom Mythos der Unschlagbaren, der sie noch in den beginnenden 50ern begleitet hatte, war nur wenig übrig geblieben, und doch fieberten die Osttiroler Fußballfreunde mit dem SV Rapid Lienz auf dieses Spiel hin… Doch einen Schritt zurück, wie kam es überhaupt dazu, dass Ungarns Nationalmannschaft sich mit dem Landesligisten aus einer kleinen Tiroler Stadt duellierte?
Kein Beliebtheitswettbewerb
Die Magyaren befanden sich zum 9. Mal in der Vorbereitung auf ein WM-Turnier, Mexiko 1986 stand vor der Tür – hätten sie damals gewusst, dass es ihre bislang letzte Endrundenteilnahme sein sollte, es hätte sich wohl etwas Wehmut eingestellt. Aber so ging man voller Vorfreude und Zuversicht in dieses Championat, wurde doch in der Qualifikation ein klarer Gruppensieg geholt und der Finalist von `74 und `78, Niederlande, wie auch den 7. von `78 und 8. von `82 hinter sich gelassen – Österreich dessen Name. Die rot-weiß-roten Tribblanski mussten nur 2 Niederlagen hinnehmen, beide gegen das einstmals eng verbundene Nachbarland. Da half es auch nicht, dass so große Namen wie Koncilia, Pezzey, Prohaska, Schachner, Jara oder Krankl das Nationaltrikot trugen, und auch nicht dass der spätere Rapid-Lienz-Spieler Franz Oberacher seine Schussstiefel für die Alpenrepublik geschnürt hatte. Mit 1:3 wurde man aus Budapest nach Hause geschickt, ein 0:3 schenkte man den Gästen in Wien. Und als wären diese Siege nicht genug, verloren die direkt qualifizierten Ungarn auch noch das letzte Gruppenspiel gegen Holland, und die Oranjes zogen an Stelle Österreichs in die Barrage um die letzten verbliebenen WM-Plätze. Alles in allem keine Sympathiebekundung, welche die Pannonier ihren Nachbarn boten.
Höhenluft für höhere Aufgaben
Dennoch, der erste Blick nach getaner Arbeit ging über die Westgrenze und Richtung Alpen. Die WM fand in Mexiko statt, in Stadien auf über 1.700m Seehöhe - 1.600m höher als es die Magyaren gewohnt waren. Mit Bergen konnte das Land am Plattensee nicht dienen, auch bei den „Freunden“ hinterm Eisernen Vorhang konnte kein rechter Fleck gefunden werden. Und so suchte man im neutralen Österreich nach einem passenden Ort, um die Spieler perfekt auf die veränderten Bedingungen vorzubereiten. Gefunden wurde dieser Platz in Osttirol, am Zettersfeld. Das Berggasthaus Pepi Stiegler sollte es sein, Nußdorf-Debant und das Lienzer Dolomitenstadion. Für Trainer Mezey wohl der optimale Platz, konnte man ihn doch bereits um 6 Uhr auf der Piste antreffen, während die Spieler um 7 Uhr mit Schwimmen in den Tag starteten. Balltraining in vier Gruppen und am Nachmittag spezielle Konditionsübungen rundeten den Tag ab, der auf Spitzenleistungen zur Mittags-/ frühe Nachmittagszeit ausgelegt war, um die frühen Anstoßzeiten in Mexiko perfekt zu simulieren. Und bei Rapid freute man sich, zum 40jährigen Bestandsjubiläum mit einem wahrhaft großen Gast aufwarten zu können, welcher nach Vorbereitungsspielen gegen Spittal (2:0, Hannich’s Bänderverletzung, die er sich bereits in Spanien zugezogen hatte, wurde wieder akut) und eine Osttirol-Oberkärntner Auswahl (9:0 gegen Spieler von Obervellach, Matrei und Nußdorf-Debant) bereits warm gespielt sein würde.
Das Vorspiel…
Den 40er gab es also zu feiern für Rapid Lienz, und nicht nur Ungarn hatte sich als Gratulant eingestellt. Im Vorspiel zu dieser internationalen Begegnung kreuzten grün-weiße Fußballer der Kader von 1965 bis 1976 die Klingen mit ihren Altherrenkollegen von Wacker Innsbruck. Im Wacker-Aufgebot, welches teilweise identisch mit dem österreichischen Fußballnationalteam von 1974 war, standen klingende Fußballernamen wie Kriess, Eigenstiller, Wolny, Siber, Gombasch, Sikic, Eschlmüller und Trenkwalder, auch Ex-Skistar Alfred Matt gab sich die Ehre. Besondere Freude unter den leider nur wenigen Zuschauern sorgte das Auflaufen von Pepi Webora im Dress der Rapidler, der wie auch Ex-Goalgetter Kreisern, Leitner, Arzböck oder Peer wehmütig an die großen Zeiten der Osttiroler in Österreichs zweithöchster Spielklasse denken ließ. Wacker Innsbruck war wohl überrascht vom Elan, der Lauffreudigkeit und vor allem der Ernsthaftigkeit, mit der Lienz in dieses Spiel ging. Besonders Rindler geigte wieder mal auf und erzielte vier herrliche Treffer, Leitner ließ es zweimal klingen, 9:1 lautete das Endergebnis, nur Kriess konnte aus einem Elfmeter in Halbzeit eins einen Treffer für die mehrmaligen österreichischen Fußballmeister beisteuern. Mit Spannung wartete das nun doch zahlreich ins Stadion strömende Publikum auf das Auftreten der aktuellen Kampfmannschaft.
Rapid Lienz (Altherren) – Wacker Innsbruck (Altherren) 9:1 (4:1)
08.05.1986, Dolomitenstadion Lienz, 400;
Tore: Rindler (4), Leitner (2), Wendlinger, Kreisern, Peer bzw. Kriess;
Rapid Lienz (Altherren): Feichter (46. Gatterer), H. Oberhueber, Mair, W. Moritz (46. Bergmeister), Webora (46. Unterweger), Wendlinger, Arzböck (46. Rom), Leitner, Kreisern, Rindler, Peer.
Wacker Innsbruck (Altherren): Matt, Wolf, Trenkwalder, Kriess, Hörmann, Voggenberger, Hörtnagl, Sikic, Gombasch, (46. Sachser), Siber, Iwanusch.
Erst verspielt…
Bei mäßigem Wetter, das wohl auch die verhältnismäßig geringe Zuschauerkulisse trotz des starken Gegners erklärt, betraten die Teams den Rasen des Dolomitenstadions wo sie mit ihren jeweiligen Nationalhymnen begrüßt wurden. Wie vorab vereinbart, um so kurz vor dem Turnier noch Verletzungen zu vermeiden, wurde auf körperbetontes Spiel und allzu harte Zweikämpfe verzichtet, und so konnten die Ungarn ihre technische Überlegenheit voll ausspielen. Umso überraschender war dann doch der Verlauf der ersten Hälfte und der Spielstand zur Pause, auch wenn dieses 3:1 das wahre Kräfteverhältnis wohl nicht wiedergab. Lienz stand unter Dauerdruck der Gäste, konnte diesen jedoch recht gut kompensieren und hatte auch das nötige Glück, als Kiprich (5.), Detari (20.) und Esterhazy (23.) allein vor Trimmel auftauchten, jedoch an ihm oder an eigener Verspieltheit scheiterten. Besser machten es die Rapidler, die eine 100%ige Chancenauswertung boten. Eine Möglichkeit bot sich den Osttirolern, als in der 36. Minute Eder Schwaiger ideal freispielte. Und dieser packte die Gelegenheit am Schopf, sprintete aus halbrechter Position allein auf das ungarische Tor zu und überhob elegant Szendrei, als ob ein Treffer gegen einen Toptorhüter das selbstverständlichste der Welt wäre.
…und dann gab’s Csardas
In der Halbzeit wechselte Mezey das gesamte Team, und so kam es wie es kommen musste. Zur spielerischen und technischen Überlegenheit kam auch noch der konditionelle Vorteil gegenüber den Lienzern, die nur drei Spieler (inklusive Tormann) austauschten, und es wurde Csardas getanzt im grün-weißen Strafraum. Mit enormem Einsatz im Kampf um ein Stammleiberl wurden herrliche Spielzüge gezeigt, Kabinettstückerln ausgepackt und Rapids Hintermannschaft gehörig durcheinandergewirbelt. Wäre auch der eine oder andere Treffer an einem besseren Tag des sichtlich nervösen Ersatztorhüters Nußbaumer verhinderbar gewesen, geht auch dieser deutliche 11:1-Erfolg der Ungarn mehr als in Ordnung. Ein torreiches und flottes Spiel, einen großer Gegner zum Jubiläum, und Sieg für Ungarn, der Selbstvertrauen geben musste, all das bekamen die 1000 Zuschauer an diesem Tag geboten. Und Rapid durfte sich mit Augenzwickern mit El Salvadors Nationalmannschaft vergleichen, welche 1982 beim WM-Spiel in Elche eine 10:1 (3:0)-Schlappe gegen die Magyaren hinnehmen musste.
Kein Glück in Mexikos Gluthitze
Osttirol brachte den Ungarn jedoch ebenso wenig Glück wie den Löwen aus Kamerun im Jahr 2010. Hatte Trainer Mezey noch im Vorfeld nach überlegener Leistung Qualifikation und guter Vorbereitung mit einem zweiten Platz in der Gruppephase hinter Favorit Frankreich spekuliert, so wurde man in Mexiko auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. 6:0 fegte der große Bruder Sowjetunion die Balaton-Kicker vom Platz, und nach einem 2:0 Sieg gegen Debütant Kanada bestand zwar noch die theoretische Chance eines Weiterkommens, aber mit Frankreich wartete ein harter Brocken auf die Ungarn. Die „Bleus“, angetrieben von ihrem Star Michel Platini, fuhren mit 3:0 über die Pannonier hinweg, stürmten ins Achtelfinale und nahmen den Magyaren auch noch die Chance, sich über einen guten dritten Platz in der Gruppe für die Finalrunden zu qualifizieren. Und so konnten sie das legendäre Match des späteren Weltmeisters Argentinien gegen England, die „Hand Gottes“ und die Geburt des Mythos Maradona bereits wieder zu Hause am Fernseher betrachten. Lienz war auch 1986 schon kein guter Boden für Nationalmannschaften…
SV Rapid Lienz – Ungarisches Nationalteam 1:11 (1:3)
08.05.1986, Dolomitenstadion, 1000 Zuschauer, SR Latzin.;
Tore: Schwaiger (36.) bzw. Esterhazy (10.), Kiprich (26., 29.), Hajwzan (46.), Kovacs (48.), Kozma (57.), Meszaros (73., 74.), Peter (75., 89.), Burcsa (81.);
SV Rapid Lienz: Trimmel (46. Nußbaumer), Kalcher, Außerdorfer, Mariacher (46. Salcher), Hartlieb, Micheler (58. Leitner), Winkler, Martin (46. Waditzer), Omerhodzic, Eder (58. Wilhelmer), Schwaiger.
Ungarn (Kader): Szendrei, Andrusch, Sallai, Kardos, Csuhay, Dajka, Garaba, Kiprich, Nagy Antol, Antal, Bognar, Detari, Esterhazy, Kozma, Disztl,, Roth, Varga, Peter, Burcsa, Kovacs, Meszaros, Nagy Joszel, Hajszan.