Meister? Und wie...
Man möchte von packenden Spielen erzählen, vom Kribbeln im Bauch, ob das Ziel erreicht werden kann, von der Spannung bis zur letzten Spielminute der Saison, ob denn der Meistertitel wirklich erstmals nach Osttirol geht, von der Explosion der Gefühle und dem Ausleben der Emotionen, als mit dem Schlusspfiff endlich der Aufstieg in Österreichs zweithöchste Spielklasse geschafft worden war - damit kann der SV Rapid Lienz bei seinem ersten Meistertitel nicht dienen.
Wie alles begann…
Aber der Reihe nach, oder, wie es in den Soap-Operas so oft heißt, wie alles begann… Das Spieljahr 67/68 brachte einige Umstellungen bei den Lienzern, bei denen seit ihrem Umzug von der Pustertaler Straße ins neue Dolomitenstadion bzw. nach dem Aufstieg in die Kärntner Liga ein prominenter Trainer dem anderen die Klinke in die Hand gab. Nach Saisonen mit Ernst Melchior (36facher Nationalteamspieler, 3maliger österreichischer Meister, 2facher Pokalgewinner) und Karl Durspekt (Mitropacup-Finalist, deutscher Vizemeister mit der Admira, 2facher Nationalteamspieler) übernahm „Bubi“ Strasser interimsmäßig die Grün-Weißen und führte sie nach mäßigem Herbst noch auf Rang vier. In dieser Zeit wurde schon eine neue Stütze in den Verein integriert: Peter Dinic, die jugoslawische Neuerwerbung, ließ das ein ums andere Mal sein Können aufblitzen. Zur Stärke der Lienzer trug auch der Nachwuchs bei, welcher mit einem 1:0 über den ASK Kärntner Juniorenmeister wurde. Und dieser Nachwuchs sollte auch die Basis für das nächste Jahrzehnt sein, das erfolgreichste, das der SV Rapid Lienz je hatte.
Durchschlagender Erfolg
Zum Spieljahr 1968/69 gelang der Vereinsführung unter Präsident Walter Hölzl, Obmann Dr. Wilfried Seirer und Sektionsleiter Friedrich Durchschlag ein – man verzeihe das schlechte Wortspiel – durchschlagender Transfercoup. Pepi Webora wurde vom Wiener Sportclub auf den Lienzer Trainerstuhl (bzw. in den grün-weißen Verteidigungsriegel) geholt, und die Döblinger, die waren damals nicht irgendwer: Vierter der abgelaufenen Meisterschaft, im UEFA-Cup tätig, und nur wenige Saisonen war es her, als sie zum letzten Mal die Schale als bestes Team Österreichs in den Himmel strecken durften. Webora holte die Jugendspieler Rindler, Miglar, Guggenberger und Gatterer in die Mannschaft, Kratzer wurde von der Union aus Matrei geholt und mit dieser neu formierten Mannschaft wurde die Herbstsaison in Angriff genommen.
Angstgegner Rapid
Und was für eine Herbstsaison! 13 Spiele hatten die Grün-Weißen zu absolvieren, 13mal standen sie Kärntner Mannschaften gegenüber, 13mal gingen die Osttiroler als Sieger vom Platz, ein überlegener Winterkönig, der allerdings gewarnt war. Schon zwei Jahre zuvor konnte man als Tabellenführer in die Pause gehen (damals zwar nur mit einem Punkt Vorsprung auf Magdalen), musste aber nach einem sehr mäßigen Frühjahr ebendiesen den Vortritt lassen, nachdem man in 5 Heimspielen ebenso viele Tore erzielte – wohl kein Zeichen für einen Heimnimbus. Und so ging Rapid (mehr oder weniger) konzentriert in die Rückspiele, mit einer Mannschaft, die konditionsstark war, und dies trotz ihres verhältnismäßig jungen Durchschnittsalters von 24 Jahren, Josef Webora als Spielertrainer und Mannschaftskapitän Gottfried Strasser waren die einzigen „Senioren“ mit über Dreißig. Und dieses Team musste auch in den kommenden 13 Spielen nur 3 Niederlagen hinnehmen, nur ASK Klagenfurt (gleich im ersten Spiel der Frühjahrsmeisterschaft), SV Spittal (erste Heimniederlage), und – was wohl alle überraschte – der abstiegsgefährdete ATSV Wolfsberg auswärts in der allerletzten Runde durften sich rühmen, Punkte gegen den Meister der Kärntner Landesliga eingefahren zu haben.
Zahlen, Daten, Fakten
Das schmälerte aber die eindrucksvolle Bilanz Rapids keineswegs: Titelentscheidung schon in Runde 22, 8 Punkte Vorsprung auf den Vizemeister VSV (unter der 3-Punkte-Regel wären es gar 14 gewesen), ein Torverhältnis von +71, 95 erzielte Treffer (mit dem Toptorschützen Maier, der 34mal scorte, und den 9 weiteren Torschützen Unterweger 17, Kratzer 16, Rindler 10, Strasser 6, Tschapeller 5, Bergmeister 2, Moritz, Miglar und Webora je 1 sowie zwei Eigentoren), ein Zuschauerschnitt von 1200 – ein eindeutiger und verdienter Meister. Bei jedem dieser Spiele dabei waren Webora, Bergmeister, Tschapeller, Maier und Unterweger (letztere Zwei schieden zweimal vorzeitig auf Grund einer Verletzung aus), und der „Schorsch“ war auch der designierte Elfmeterschütze. 8mal trat er an, sechs verwandelte er, einen hämmerte er neben das Tor, einmal konnte Waidacher (Spittal) abwehren. Gegen die Lienzer wurde nur ein Elfmeter verhängt (welcher vom Völkermarkter Lamprecht verwandelt wurde), ein weiterer Hinweis auf die spielerische Überlegenheit des Meisters.
Und so geht’s weiter…
Für die neue Saison, in welcher nun erstmals ein Osttiroler Verein in der zweithöchsten österreichischen Spielklasse tätig war, verstärkte man sich nochmals, vor allem die Tormann-Frage war zu lösen: Stefan Moser kam vom Innsbrucker SK, Karl Rom vom Atus Weiz, Josef Trojer von SV Spittal (man munkelte damals, dass die Lieserstädter für den technischen Zeichner mit Nebenberuf Stürmer 23.000 Schilling verlangen würden, eine starke Summe zur damaligen Zeit), Rudolf Michalsky wurde aus Deutschland geholt (SV Sandhausen), Gerd Guggenberger von Steinfeld, Hansjörg Pirkebner vom SV Nußdorf/Debant und Johann Brugger kam als Leihspieler vom KAC zurück. Somit waren einige Spieler der Grün-Weißen frei und beflügelten den Osttiroler Fußball (der auch vom Aufstieg der Iseltaler Marktgemeinde in die Unterliga profitierte) durch ihren Wechsel: Werner Moritz, Hermann Auer, Kurt Sprenger (leihweise) und Walter Oberhuber (lw, auch als sportlicher Leiter) kamen zur Union Matrei; Hans Kern, Franz Oberhuber, Egon Mairamhof, Hans Mair (lw) und Hans Patterer (lw) zum HSV Lienz; Anton Steurer zum SV Tristach und Klemens Mitterberger (lw) zum SV Dölsach.
Und abseits des Platzes…
…Der Osttiroler Bote, vor 40 Jahren ein kritischer Fußballbeobachter, der sich auch nicht scheute, den überlegenen Tabellenführer bei Siegen zu kritisieren, monierte des Öfteren, dass Spiele der Rapidler nichts für Menschen mit schwachen Nerven seien, denn zu oft gingen die Lienzer quasi mit einem Rückstand bereits ins Spiel, und so wurde bewundernd und lobenswert hervorgehoben, wenn Grün-Weiß einmal das erste Tor schoss… …Warum es heute Bier in Bechern gibt, lässt sich gut am Spiel gegen Faak ablesen. Lienz gewann zwar auswärts 5:0, das hinderte einen Lienzer Schlachtenbummler aber nicht daran, dem Linienrichter auf Grund einer vermeintlichen Fehlentscheidung eine Flasche nachzuwerfen. Nach einer längeren Unterbrechung wurde das Spiel – zum Glück für Rapid – wieder fortgesetzt… …Auch wenn die vom OB kolportierten „Hunderten“ von Fußballfans, die den zukünftigen Meister auch auswärts begleiteten, wohl etwas übertrieben scheinen, ein spaßiger Haufen hatte sich wohl zusammengefunden, um Lienz zu begleiten. Denn nur so kann man sich Erzählungen von Anzeigetafeln erkletternden Rapidlern erklären, von Platzstürmen nach Spielende oder Geschichten wie jene vom Auswärtsspiel Ende März in Villach, das Bezirksblatt schreibt darüber: Ein Fußballfan nahm erstmals seine Frau mit auf den Sportplatz. Nach jedem Tor der Lienzer umarmte und küsste er sie vor Begeisterung. "Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon zum Spiel gegen Wietersdorf auf den Sportplatz gegangen.", meinte sie strahlend. P.S.: Für die nicht fußballbegeisterten Leser: Das Spiel gegen Wietersdorf endete 10:0.…