Der Teufel trägt ... rot

Hohe Erwartungen…

Gut sah es im Oktober 1971 nicht aus für den SV Rapid Lienz, und das nach diesem Meisterschaftsauftakt, nach den erfolgsverwöhnten letzten Jahren. Drei Jahre zuvor war man noch Meister in der Landesliga und damit Aufsteiger in die Regionalliga Mitte, die zweithöchste österreichische Spielklasse. Im ersten Jahr gleich Rang 5 und vorübergehend sogar Tabellenführer, in der letzten Saison gar Dritter, knapp hinter dem Aufsteiger in die Bundesliga, WSV Donawitz (Umbenennung in Alpine nach Saisonende, heute DSV Leoben), und dem SV Kapfenberg. Spurlos schienen die finanziellen Belastungen der letzten Jahre durch Fahrtspesen, Prämien u.ä. an den Spielern vorübergegangen zu sein, bot doch der Einstieg der Spittaler Fliesenfirma Mussnig als Hauptsponsor und auch Namensgeber eine gewisse Sicherheit, abgesehen von den im letzten Jahr erhöhten Eintrittspreisen (von 15 auf 20 Schilling) und Mitgliedsbeiträgen (von 50 auf 100 Schilling), die von den Mitgliedern ohne Widerstand mitgetragen wurden. Und dann gab es Torfestivals in den ersten beiden Runden, die das Herz der fußballaffinen Osttiroler höher schlagen ließ, fegte man doch Liezen mit 4:3 und Ferndorf mit 5:2 vom Platz, in der ersten ÖFB-Pokal-Runde besiegte man die Klagenfurter Austria auswärts nach einem 1:1 in der regulären Spielzeit mit 4:2 im Elfmeterschießen.

… und traurige Realität

SV Rapid Lienz - Grazer AK

Viel hätte man sich erwarten können nach solch einem Vorspiel, doch wohl kaum das, was folgte: Eine Torsperre. Doch keine grün-weiße, auch wenn Rom seinen Kasten ausgezeichnet beschützte, nein, den Stürmern wollte einfach kein Ball mehr über den gekalkten Rasenstreifen. Pfosten, gegnerische Keeper, Abschlussschwäche, fehlendes Glück – was auch immer es war, es folgten beängstigende Stunden ohne Torerfolg: 0:1 gegen die Violetten in Klagenfurt, 0:0 zu Hause gegen Weiz, 0:0 bei St. Valentin in Niederösterreich (dem OÖFV zugehörig), 0:2 im Dolomitenstadion gegen den Kapfenberger SV, 0:0 gegen Grieskirchen im Hausruckviertel… Eine veritable Krise hatte sich eingestellt, der Osttiroler Bote titelte „Sehr schwaches Spiel!“, und attestierte der Mannschaft „höchstens Landesliganiveau“, und auch die Zuschauer, in den letzten Jahren mehrfach zu Tausenden ins Stadion gepilgert, blieben diesem Trauerspiel fern. Und nun standen Gegner vor der Türe, die alles andere als einfach waren, erwartete man doch innerhalb von drei Tagen Besuch von Vorwärts Steyr im Ligaduell und dem Nationalligisten GAK im Cup – die Oberösterreicher seit drei Runden unbesiegt, der steirische Erstligist gar seit fünf, und nur drei Punkte hinter dem Tabellenführer FC Wacker Innsbruck liegend.

Ein Schritt vorwärts

Und Vorwärts war genau das, was Lienz brauchte, mit einer löchrigen Abwehr ausgestattet und in einer schwachen Partie die Schwächeren, dankbare Helfer beim Beenden der über 500 Minuten andauernden Torsperre. Der erst in der zweiten Halbzeit eingewechselte Dudek und Unterweger stärkten das Osttiroler Selbstbewusstsein, und so ging Rapid erhobenen Hauptes in ein Pokalspiel, das ein klassisches David gegen Goliath bot. Der Grazer AK wurde betreut von Helmut Senekowitsch, der Karl Durspekt, den ehemaligen Lienz-Trainer, ablöste, an der WM 1958 in Schweden als Spieler teilgenommen hatte und seine Schuhe auch schon für Sturm Graz, die Vienna, Betis Sevilla und den FC Wacker Innsbruck geschnürt hatte – ein klingender Name also. Und solche hatte der GAK mehrfach in seinen Reihen: Willy Huberts zum Beispiel, der nach einer Reihe von Freundschaftsspielen in New York (unter anderem gegen Real Madrid) von den dortigen Hungarians verpflichtet wurde und mit ihnen den US Open Cup gewann, für das Nationalteam ebenso kickte wie für Eintracht Frankfurt (dort als 10er), den AS Roma und die Wiener Austria. Oder Walter Koleznik, ein Beispiel an Vereinstreue, war er doch sein Leben lang ein roter Teufel, der in zwei Pokalfinali spielte und auch das Nationalteamdress überzog. Und nicht zu vergessen Sepp Stering, ebenfalls ein Nationalteamspieler, dessen Karriere ihn noch zur VOEST, zu Wacker Innsbruck, den 60ern aus München und wieder zurück zum GAK bringen sollte.

Der Show-down

Helmut Senekowitsch

Und diese Hürde galt es zu überwinden, wollte Rapid Lienz ins Achtelfinale des Pokals einziehen. Wahrhaft keine leichte Aufgabe, auch wenn die Steirer Stering, Phillip und Hofbauer vorgeben mussten. Die Hoffnung des Regionalligisten lag im Rückhalt des Publikums, in einem schnellen Tor und der Möglichkeit, spielerisch unterschätzt zu werden. Punkt eins ging schon mal in Erfüllung, als sich 3000 Osttiroler durch die Tore des Dolomitenstadions drängten. Und in der dritten Minute brandete erstmals ein Jubelschrei durch den Talboden. Dudek, diesmal von Beginn an tätig, kanonierte den Ball aus spitzem Winkel in die Maschen und verlieh so seiner Mannschaft ungeheueren Auftrieb. Die zu favorisierenden Rothemden fühlten sich noch nicht bedrängt und versuchten weiterhin, im Schongang zum Erfolg zu kommen. Doch damit erlitten sie Schiffbruch, stand doch die heimische Abwehr gut gestaffelt und verhinderte so ein Durchkommen des Grazer Sturms. Die augenscheinliche Überlegenheit führte lediglich zu einem Freistoß von Hermann Repitsch, der den Pfosten erzittern ließ. So ging Rapid konternd in die zweite Hälfte und gab durch diese gefährlichen Vorstöße einen ebenbürtigen Gegner ab. Abermals waren es die Steirer, die das Publikum von den Sitzen rissen – Gerhard Techts Schuss landete wieder nur am Gehäuse, und der unglückliche Schütze musste Kamper Platz machen. Doch dieser Wechsel kam zu spät, denn in der 75. Minute war es erneut Dudek, der den Ball über die Linie bugsierte. Das Stadion stand nun Kopf und peitschte seine Männer nach vorne. Drei Minuten später vergab Tschapeller per Kopf, in der 82. Minute rettete Dinic in extremis, im Gegenzug musste sich Steigenberger weit strecken, um eine Bergmeister-Bombe zur Ecke abzuwehren – die steirische Gegenwehr war gebrochen. Und so stürmten nach dem Schlusspfiff hunderte Fans das Spielfeld um ihren siegreichen Ballesterern einen gebührenden Abgang zu bereiten.

Lob von allen Seiten

„Selten hat man in Lienz ein so gutes Spiel gesehen“, meinte der Osttiroler Bote und lobte beinahe jeden Spieler namentlich. „Cupsensation in Lienz“, titelte die Tiroler Tageszeitung, die aus dem Ensemble niemanden hervorheben wollte. „Rapid Lienz hat verdient gewonnen. Die Mannschaft hat besser gekämpft.“, sagte ein geknickter Helmut Senekowitsch nach dem Spiel, freilich nicht, ohne hinzuzufügen: „Leider konnten wir nicht in unserer Standardbesetzung antreten.". Diese Standardbesetzung führte er jedoch im folgenden Jahr auf Rang drei der Meisterschaft, dem bis dahin besten Ergebnis der roten Teufel, welche als Bonus auch erstmals im UEFA-Cup antreten durften. Für Lienz hingegen ergab sich eine zwiespältige Bilanz. Im Achtelfinale des Cups scheiterte man zur Krampuszeit in Wien doch klar an einem weiteren Nationalligisten, dem Sportclub (3:0), nachdem man durch eine Fehlentscheidung beim Stand von 0:0 Spielertrainer Webora verlor, und auch in der Liga musste man Rückschläge einstecken und beendete die Saison nur knapp vor den Abstiegsrängen auf Rang 11 von 14.

Und so ging’s weiter…

Rapid Lienz vs. GAK, ÖFB-Pokal 1974

Doch bald sollte man den GAK wiedersehen, denn während dieser 1974 auf Grund der Ligareform, der seltsamen Bundesländer-Abstiegsregel und der schlechteren Platzierung gegenüber Sturm Graz den Weg in die neu geschaffene zweitklassige Nationalliga antreten musste, erreichte Rapid als Drittplatzierter die Barrage gegen den Badener AC, gewann zweimal 1:0 und blieb somit zweitklassig. Allerdings war gegen diesen GAK kein Punkt mehr zu holen. 1946 noch konnte der gerade erst gegründete Lienzer Fußballclub die Steirer, die sich auf einer Freundschaftstour durch den Süden Österreichs befanden, sensationell mit 3:1 besiegen, was die Kärntner Zeitungen nach Grazer Kantersiegen gegen den KAC und eine Landesauswahl zur Meldung verleitete, Rapid habe die Ehre der Kärntner gerettet. 1971 folgte obiger Cupsieg – 1974 die Pokalrevanche mit 1:2 im Dolomitenstadion. Und in der selben Saison musste man zu Hause ein bitteres 0:4 hinnehmen (Kirisits scorte zweimal, Philipp und Lamprecht je einmal), auswärts erreichte man eine ehrenvolle 1:0-Niederlage gegen den GAK Teppichland, der als dominierender Verein und Zweitliga-Meister wieder den Weg zurück in die höchste Spielklasse nahm.

Nachwort

Das Pokalsieg gegen den GAK fand nur noch selten Erwähnung in den Gesprächen der Lienzer, wurde er doch wenige Jahre später überdeckt durch den Einzug ins Semifinale des heimischen Cups. Doch der GAK an sich blieb Gesprächsthema in der Dolomitenstadt, sei es durch das Traineramt von Adolf Blutsch oder das Engagement Bernhard Hansers bei den Rothemden, sei es durch Stefan Erkinger, der – nicht als erster Erkinger – dort eine Heimat fand, oder sei es auch durch Konkurse, die beide Vereine ertragen mussten…

ÖFB-Cup 16tel-Finale: SV Rapid Mussnig Lienz – Grazer AK 2:0 (1:0)

26.10.1971, Dolomitenstadion Lienz, 3000; SR Spatzenegger (Sbg.), LR Zuder, Latzin (Ktn.);

Tore: Dudek (3., 75.);

Rapid Lienz: Rom, Oberhuber, Webora, Bergmeister, Peer, Maier, Dinic, Unterweger, Tschapeller, Dudek, Rindler.

GAK: Steigenberger, Trafella, Maier, Breiner, Lamprecht, Huberts, Scharmann, Repitsch, Rebernig, Koleznig, Techt (69. Kamper).

(c) stefan weis 2008-2009 - Für Papa. Danke, dass du mich ins Dolomitenstadion mitgenommen hast.